März 2020. Ein CEO sitzt in seinem Homeoffice, starrt in die Webcam und sagt seinen 50.000 Mitarbeitern, dass alles gut wird. Seine Stimme zittert, der Bildschirm flackert, und man sieht deutlich: Er glaubt selbst nicht daran. Die Authentizität einer Videobotschaft kann Missverständnisse vermeiden und die Akzeptanz bei Mitarbeitenden deutlich erhöhen. Drei Monate später ist das Unternehmen pleite. Zur gleichen Zeit schickt eine andere Geschäftsführerin ein fünfminütiges Video an ihr Team – ehrlich, klar, ohne Beschönigung. Ihr Laden übersteht die Krise.
Was macht den Unterschied? Warum können Videobotschaften in Krisenzeiten alles entscheiden – im Guten wie im Schlechten?
Wenn jede Sekunde zählt: Die Macht der visuellen Krisenkommunikation
Krisen haben eines gemeinsam: Sie fressen Vertrauen. Schnell, gründlich, unerbittlich. Und genau hier liegt das Problem – und die Chance zugleich. Während klassische Pressemitteilungen oder E-Mails in der Informationsflut untergehen, kann ein gut gemachtes Video binnen Minuten Millionen Menschen erreichen. Es transportiert nicht nur Fakten, sondern auch Emotionen, Körpersprache, Glaubwürdigkeit. In Krisenzeiten ist die Emotionale Wirkung von Videos entscheidend, um Vertrauen zu schaffen und Unsicherheiten abzubauen.
Denk an Jacinda Arderns Videobotschaften während der Christchurch-Anschläge. Oder an die deutschen Politiker, die zu Beginn der Corona-Pandemie täglich vor die Kameras traten. Manche kamen authentisch rüber, andere wie Roboter aus dem Politbüro. Der Unterschied? Oft nur Nuancen – aber mit enormer Wirkung.
Die Pandemie hat uns gelehrt: Videokommunikation ist kein Nice-to-have mehr, sondern Überlebensstrategie. Unternehmen, die das verstanden haben, konnten ihre Belegschaft zusammenhalten. Die anderen? Naja, lass uns mal schauen, was schiefgelaufen ist.
COVID-19: Das große Videoexperiment
2020 war wie ein riesiges Labor für Krisenkommunikation. Plötzlich mussten alle ins Video – CEOs, die vorher nur schriftlich kommuniziert hatten, Bürgermeister kleiner Gemeinden, Schulleiter. Manche Botschaften gingen viral, andere verschwanden im digitalen Nirwana.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte einen starken Auftritt: Ehrlich, direkt, ohne Schönfärberei erklärte er, warum das Unternehmen staatliche Hilfe braucht. Kein Marketing-Blabla, sondern klare Ansagen. Das kam an – bei Mitarbeitern wie bei der Öffentlichkeit.
Anderes Beispiel: Ein mittelständischer Maschinenbauer aus Baden-Württemberg. Der Geschäftsführer filmte sich selbst in der leeren Produktionshalle, sprach offen über Kurzarbeit und Zukunftsängste. Authentisch, nahbar, menschlich. Seine Mitarbeiter teilten das Video massenweise – freiwillig. Vertrauen geschaffen, Mission erfüllt.
Aber es gab auch Totalausfälle. Ein Startup-CEO, der in seinem Video mehr über seine teuren Sneaker als über die Jobsicherheit seiner Leute sprach. Ein Politiker, der vor einem Plakat mit seinem eigenen Konterfei über Bescheidenheit in der Krise redete. Solche Videos werden zu Memes – und das ist das Letzte, was man in einer Krise gebrauchen kann.
Interne vs. externe Botschaften: Zwei Welten, ein Ziel
Hier wird’s interessant: Die Tonalität zwischen internen und externen Videobotschaften unterscheidet sich fundamental. Nach innen kannst du – und solltest du – ehrlicher sein. Deine Mitarbeiter sind keine Kunden, die du überzeugen musst. Sie sind Teil des Teams, das durch die Krise navigieren muss.
Interne Krisenkommunikation per Video funktioniert am besten, wenn sie wie ein Gespräch unter Kollegen wirkt. «Leute, es ist hart, aber wir schaffen das gemeinsam.» Externe Botschaften hingegen müssen Kompetenz und Kontrolle ausstrahlen, ohne dabei roboterhaft zu wirken.
Ein Beispiel aus meiner eigenen Beobachtung: Ein Technologieunternehmen verschickte zwei verschiedene Videos zum gleichen Thema – Stellenabbau wegen Corona. Das interne Video war emotional, persönlich, mit Raum für Unsicherheit. Das externe Video fokussierte auf strategische Neuausrichtung und Zukunftschancen. Beide Videos waren authentisch – aber für ihre jeweilige Zielgruppe optimiert.
Der Knackpunkt dabei: Die Botschaften dürfen sich nicht widersprechen. Wenn interne Videos durchsickern – und das passiert häufiger, als man denkt –, darf kein Widerspruch zur öffentlichen Kommunikation entstehen.
Was macht ein Krisenvideo glaubwürdig?
Timing ist alles. Ein CEO, der drei Wochen nach dem ersten Shitstorm sein erstes Video veröffentlicht, hat schon verloren. Schnelle und klare Informationen sind in der Krise entscheidend, um Gerüchte und Unsicherheiten zu vermeiden. In Krisen tickt die Uhr anders – was normalerweise Tage dauert, muss in Stunden passieren.
Aber Geschwindigkeit allein reicht nicht. Körpersprache entscheidet oft mehr als Worte. Verschränkte Arme signalisieren Abwehr, ein starrer Blick in die Kamera wirkt unnahbar, zu viel Gestikulieren lenkt ab. Authentizität bedeutet nicht, dass man perfekt sein muss – im Gegenteil. Kleine Pausen, ein kurzes Nachdenken, sogar leichte Nervosität können Vertrauen schaffen.
Ein Negativbeispiel aus den USA: Ein Tech-CEO, der während einer Datenschutzkrise vor einem millionenschweren Kunstwerk über Bescheidenheit sprach. Die Botschaft? Völlig untergraben durch die Optik. Die Leute haben nicht zugehört, sondern nur den Widerspruch zwischen Worten und Umgebung gesehen.
Visuelle Kommunikation als Orientierungsanker
Menschen sind visuelle Wesen. In Krisenzeiten besonders. Wenn alles unsicher ist, suchen wir nach Orientierung – und die bekommen wir oft über das, was wir sehen. Ein ruhiger, klarer Videobeitrag kann mehr Vertrauen schaffen als hundert Pressemitteilungen.
Animationen und Visualisierungen spielen dabei eine besondere Rolle. Komplexe Sachverhalte – wie Infektionsketten oder Wirtschaftshilfen – lassen sich oft besser in bewegten Bildern als in Texten erklären. Das Robert Koch-Institut hat das während Corona ziemlich geschickt gemacht: Einfache Animationen, die auch Laien verstehen konnten.
Aber Vorsicht vor dem Überdrehen. Zu viele Effekte, zu bunte Grafiken, zu schnelle Schnitte – das kann in Krisenzeiten kontraproduktiv wirken. Die Botschaft wird von der Verpackung übertönt.
Wenn Videos die Krise verstärken
Nicht jeder Videoversuch geht gut aus. Manche Botschaften verstärken die Krise, statt sie zu entschärfen. Ein klassischer Fehler: Der Versuch, alles schönzureden. Wenn draußen die Welt brennt, bringt es nichts, von «spannenden Herausforderungen» zu sprechen.
Ein anderer Klassiker: Das Video, das offensichtlich vom Marketing-Team produziert wurde. Perfekte Beleuchtung, geschliffene Phrasen, null Emotion. In Krisenzeiten wirkt das wie Hohn. Die Leute wollen echte Menschen sehen, keine Hochglanz-Marionetten.
Apropos Timing: Ein Video zu früh oder zu spät zu veröffentlichen, kann fatal sein. Zu früh, und man hat noch keine klaren Antworten. Zu spät, und das Vertrauen ist bereits beschädigt. Die Kunst liegt darin, den richtigen Moment zu erwischen – und wenn man ihn verpasst, ehrlich zu sein, warum man erst jetzt kommuniziert.
Verzahnung mit anderen Kanälen
Ein Video allein macht noch keine Krisenkommunikation. Es muss in eine Gesamtstrategie eingebettet sein. E-Mails, Social Media, Pressemitteilungen – alle Kanäle müssen dieselbe Botschaft transportieren, aber mediengerecht aufbereitet.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Logistikunternehmen, das während der ersten Corona-Welle ein fünfminütiges CEO-Video produzierte. Das Video ging per E-Mail an alle Mitarbeiter, Ausschnitte wurden auf LinkedIn geteilt, die Kernbotschaften flossen in Pressemitteilungen ein. Jeder Kanal hatte seine Rolle, aber alle zogen am selben Strang.
Der Fehler, den viele machen: Sie produzieren das Video und denken, damit wäre es getan. Aber ein Video ohne Distributionsstrategie ist wie ein Konzert ohne Publikum. Sinnlos.
Best Practices: Vom Chaos zur Klarheit
Vorbereitung ist das A und O – auch wenn man in der Krise oft improvisieren muss. Ein paar Grundregeln haben sich bewährt:
Erstens: Immer mit der Botschaft beginnen, nicht mit der Technik. Was will ich sagen? Wen will ich erreichen? Welche Emotion soll transportiert werden? Erst dann kommen Kamera und Schnitt.
Zweitens: Einfachheit schlägt Perfektion. Ein ehrliches Smartphone-Video kann mehr bewirken als eine professionell produzierte Hochglanz-Botschaft, die kalt rüberkommt.
Drittens: Schnell reagieren, aber nicht überstürzen. Die ersten 24 Stunden sind entscheidend – aber ein schlecht gemachtes Video kann mehr Schaden anrichten als gar keines.
Monitoring ist genauso wichtig wie die Produktion. Wie kommt das Video an? Welche Kommentare gibt es? Wo wird es geteilt? Diese Daten helfen nicht nur bei der Erfolgsmessung, sondern auch beim nächsten Video.
Der Mensch hinter der Botschaft
Was mir in den letzten Jahren aufgefallen ist: Die besten Krisenvideos sind die, in denen man den Menschen hinter der Funktion spürt. Nicht den CEO, sondern die Person, die auch Sorgen und Zweifel hat. Nicht den Politiker, sondern den Menschen, der eine schwierige Entscheidung treffen musste.
Das bedeutet nicht, dass man seine Schwächen zur Schau stellen soll. Aber ein bisschen Menschlichkeit, ein Moment der Verletzlichkeit – das kann Wunder wirken. Wenn jemand zugeben kann, dass auch er nicht alle Antworten hat, wirkt er paradoxerweise kompetenter als jemand, der so tut, als hätte er alles im Griff.
Videokommunikation in Krisenzeiten ist letztendlich eine Frage des Vertrauens. Und Vertrauen entsteht nicht durch perfekte Technik oder ausgeklügelte Rhetorikkünste. Es entsteht durch Ehrlichkeit, Klarheit und den Mut, auch mal unperfekt zu sein.
Vielleicht geht es am Ende nicht darum, ob wir die perfekte Krisenkommunikation beherrschen – sondern ob wir den Mut haben, als Menschen zu kommunizieren, auch wenn die Kameras laufen.
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