Bildung oder Belehrung? Warum Medien oft das Falsche erklären

Bildung oder Belehrung? Warum Medien oft das Falsche erklären

Bildung oder Belehrung? Warum Medien oft das Falsche erklären

Der Unterschied zeigt sich in einem einzigen Moment: Jemand scrollt durch eine Nachrichtenseite, bleibt an einer Überschrift hängen – „5 Dinge, die du über Klimawandel wissen musst» – klickt, liest drei Absätze und fühlt sich danach informierter. Ist aber nichts passiert außer Bestätigung dessen, was ohnehin schon da war. Keine neue Perspektive, kein Widerspruch, keine Reibung. Nur ein sanftes Nicken ins Leere. Das ist keine Bildung. Das ist Beruhigung im Tarnanzug der Aufklärung.

Medien behaupten gern, sie würden bilden. Tatsächlich belehren sie meistens nur – und oft nicht einmal das gut. Der Unterschied ist nicht akademisch, sondern praktisch brutal: Bildung öffnet Räume, Belehrung schließt sie. Bildung hinterfragt auch sich selbst, Belehrung serviert fertige Meinungen in appetitlichen Häppchen. Und in einer Zeit, in der Plattformen darüber entscheiden, welche Inhalte überhaupt sichtbar werden, wird dieser Unterschied zur Systemfrage.

Wenn Erklären zur Engführung wird

Journalismus war einmal stolz darauf, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen. Das war richtig und wichtig. Irgendwann wurde daraus aber eine Industrie des Vereinfachens, die nicht mehr erklären will, sondern nur noch beruhigen. Artikel über Wirtschaft, Technologie oder Gesellschaft folgen einer Dramaturgie, die nichts mit Erkenntnis zu tun hat, sondern mit Klickraten. Problem wird benannt, Schuldige identifiziert, Lösung angedeutet, fertig. Das Publikum fühlt sich kompetent, ohne etwas verstanden zu haben.

Diese Form der Pseudo-Bildung ist besonders perfide, weil sie vorgibt, genau das Gegenteil zu sein. Sie nutzt alle Codes seriöser Wissensvermittlung – Quellen, Experten, Daten – um am Ende doch nur das zu liefern, was der Algorithmus belohnt und die eigene Filterblase bestätigt. Das hat mit Clickbait und Debattenkultur mehr zu tun als mit ernsthafter Aufklärung.

Plattform-Logik gegen kritisches Denken

Die Mechanik dahinter ist simpel: Plattformen wie Google, Facebook oder TikTok bevorzugen Inhalte, die schnell konsumiert werden und sofort Reaktionen auslösen. Differenzierte Analysen, die Zeit brauchen und Widersprüche stehen lassen, performen schlecht. Wie die Bundeszentrale für politische Bildung in einer systemischen Analyse der digitalen Öffentlichkeit herausarbeitet, wirkt sich die algorithmische Selektion von Inhalten auf die Vielfalt der Meinungsbildung aus. Also passen sich Redaktionen an. Sie produzieren bildungsähnliche Inhalte – kurz, emotional aufgeladen, mit klarer Haltung, aber ohne echte Tiefe.

Das Problem verschärft sich durch KI-gesteuerte Content-Strategien. KI-Inhalte im Journalismus können zwar Informationen bündeln und sprachlich aufbereiten, aber sie können nicht denken. Sie reproduzieren Muster, keine Erkenntnisse. Wenn Medien zunehmend auf automatisierte Texte setzen, verschieben sie die Verantwortung von Menschen zu Systemen, die nach Effizienz optimieren, nicht nach Wahrheit.

Die Illusion der Objektiven Erklärung

Besonders problematisch wird es, wenn Medien so tun, als gäbe es eine neutrale, objektive Art, Dinge zu erklären. Als könne man gesellschaftliche, politische oder technologische Fragen einfach „richtig» darstellen, ohne Perspektive, ohne Kontext, ohne Positionierung. Diese vermeintliche Objektivität ist selbst eine Form von Ideologie – sie verschleiert, dass jede Darstellung Entscheidungen voraussetzt: Was wird erklärt? Was weggelassen? Welche Stimmen kommen vor, welche nicht?

Die Debatte um objektive KI-Berichterstattung zeigt das deutlich. Algorithmen haben keine Haltung, heißt es. Aber sie haben Parameter, Trainingsdaten, Optimierungsziele. Und die sind alles andere als neutral. Wenn Medien sich hinter vermeintlicher Objektivität verstecken, entziehen sie sich der Verantwortung für ihre eigenen Deutungen. Das ist das Gegenteil von Bildung.

Content Marketing als trojanisches Pferd

Ein weiteres Einfallstor für Schein-Bildung ist die Vermischung von journalistischen und werblichen Inhalten. Unternehmen haben längst verstanden, dass sich ihre Botschaften besser verkaufen lassen, wenn sie wie Bildungsinhalte daherkommen. Ratgeber, Erklärstücke, How-to-Videos – alles verpackt in einem ästhetischen und sprachlichen Code, der Seriosität suggeriert, aber Verkaufsabsicht verfolgt.

Content Marketing zwischen Aufklärung und Manipulation zeigt, wie dünn die Grenze geworden ist. Und wie schwer es für Leser, Zuschauer oder Nutzer ist, echte Wissensvermittlung von getarnter Werbung zu unterscheiden. Wenn journalistische Formate und Marketing-Strategien sich stilistisch angleichen, verlieren Medien ihre Glaubwürdigkeit als Bildungsinstanz.

Die Rolle der Ausbildung

Interessanterweise beginnt das Problem schon in der Ausbildung. Wer heute Journalismus studiert oder ein Volontariat absolviert, lernt vor allem, wie man Inhalte produziert, die funktionieren – im Sinne von Reichweite, Verweildauer, Conversion. Kritisches Denken, Quellenkritik oder die Fähigkeit, Komplexität auszuhalten, treten dahinter zurück. Die Frage ist nicht mehr: Was muss gesagt werden? Sondern: Was performen gut?

Das hat Konsequenzen. Wenn angehende Journalisten darauf trainiert werden, Inhalte für Algorithmen zu optimieren statt für Menschen, produzieren sie später genau das: algorithmisch optimierte Inhalte. Keine Bildung, sondern Belehrung im Sinne der Plattform-Logik.

Vertrauen durch Transparenz – oder durch Inszenierung?

Medien reagieren auf den Vertrauensverlust mit einer Strategie, die paradox ist: Sie setzen auf Transparenz als Inszenierung. Erklärvideos und Vertrauen sollen zeigen, wie Redaktionen arbeiten, wie Recherchen entstehen, welche Quellen genutzt werden. Das ist grundsätzlich gut. Aber oft bleibt es bei der Geste. Die wirklichen Entscheidungen – welche Themen gesetzt werden, welche Perspektiven dominant sind, wo Interessenkonflikte liegen – bleiben unsichtbar.

Echte Transparenz würde bedeuten, auch die eigenen Mechanismen offenzulegen: Warum wird dieser Experte zitiert und nicht jener? Warum diese Überschrift? Warum dieser Fokus? Warum jetzt? Die meisten Medien wagen das nicht, weil es ihre eigene Autorität infrage stellen würde. Also bleibt es bei kosmetischer Transparenz – eine weitere Form der Belehrung, die vorgibt, Bildung zu sein.

Digitale Medien als Echokammer

Die Struktur des digitalen Raums verstärkt das Problem. Wie Expert*innen in der Stellungnahme des Bundestagsausschusses für Technikfolgenabschätzung betonen, beeinflussen Algorithmen nicht nur die Reichweite, sondern auch die Struktur der öffentlichen Diskussion. Digitale Medien zwischen Echoraum und Reichweite zeigt, wie Plattformen dazu führen, dass Menschen nur noch Inhalte sehen, die ihre bestehenden Überzeugungen bestätigen. Bildung bräuchte aber das Gegenteil: Konfrontation mit dem Unbekannten, mit Widerspruch, mit Perspektiven, die fremd sind.

Stattdessen sortieren Algorithmen alles so, dass es passt. Medien, die in diesem System überleben wollen, liefern entsprechend: passende Inhalte. Nicht verstörende, nicht herausfordernde, nicht bildende. Belehrung bedeutet hier: Bestätigung der eigenen Weltsicht unter dem Deckmantel der Information.

Medienethik als Reparaturversuch

Es gibt Ansätze, das zu korrigieren. Medienethik im digitalen Zeitalter versucht, Leitplanken zu setzen – Richtlinien, Standards, Reflexionsräume. Aber Ethik bleibt wirkungslos, wenn die ökonomischen und technischen Zwänge in die andere Richtung drücken. Solange Redaktionen überleben müssen, indem sie Klicks generieren, bleibt Bildung ein Luxus, den sich nur wenige leisten können.

Was Bildung stattdessen leisten müsste

Echte Bildung durch Medien würde bedeuten: Komplexität zulassen. Widersprüche benennen. Offene Fragen stehen lassen. Leser ernst nehmen, nicht als Konsumenten, sondern als Denkende. Das braucht Zeit, Geld und Mut. Und es widerspricht allem, was Plattformen belohnen.

Bildung müsste auch die eigene Rolle hinterfragen. Medien sind nicht neutral, sie sind Teil von Machtverhältnissen, ökonomischen Interessen, kulturellen Prägungen. Wer das verschweigt, belehrt. Wer es offenlegt, schafft zumindest die Voraussetzung für Bildung.

Und Bildung müsste akzeptieren, dass sie manchmal scheitert. Dass es keine einfachen Antworten gibt. Dass Verstehen ein Prozess ist, kein Produkt. Belehrung dagegen verspricht immer Klarheit – selbst wenn keine da ist.

Ein Bild zum Schluss

Stell dir eine Bibliothek vor, in der die Bücher jeden Tag neu sortiert werden – nicht nach Inhalt oder Autor, sondern danach, welche Titel am häufigsten angeklickt wurden. Irgendwann stehen nur noch die gleichen zehn Bücher im Regal, immer wieder neu aufgelegt, mit leicht veränderten Covern. Der Rest ist im Keller, unsichtbar, vergessen. So funktionieren digitale Medien heute. Bildung wäre, den Keller wieder zu öffnen.